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Engagiert gegen Ausgrenzung: Interview mit zwei Integrationshelferinnen

Nürnberger Land - Nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd gehen weltweit Menschen auf die Straße, um gegen Rassismus zu protestieren. In den sozialen Medien formiert sich die Bewegung unter dem Hashtag #blacklivesmatter. Unzählige Menschen bekunden so Solidarität mit diskriminierten Minderheiten. Rassismus ist auch in Deutschland kein Überbleibsel der Vergangenheit, sondern Realität – obwohl es laut Grundgesetzt verboten ist, Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Aussehens zu benachteiligen. Die Forderungen rechtspopulistischer Parteien, islamfeindliche Straftaten und unbewusst rassistisches Handeln, werfen die Frage auf, was Rassismus heutzutage bedeutet – und wie man ihm begegnen kann. Zu diesem Thema hat sich die Integrationslotsin des Landkreises, Britta Janßen, mit zwei Ehrenamtlichen unterhalten, die sich seit Jahren gegen Ausgrenzung engagieren.

  • Integrationslotsin Britta Janßen (rechts) im Gespräch mit Gertrud Behrmann-Haas (Mitte) aus Lauf und Katja John (links) aus Altdorf, die sich beide seit Jahren ehrenamtlich in Helferkreisen engagieren.

    Integrationslotsin Britta Janßen (rechts) im Gespräch mit Gertrud Behrmann-Haas (Mitte) aus Lauf und Katja John (links) aus Altdorf, die sich beide seit Jahren ehrenamtlich in Helferkreisen engagieren.
    © Foto: Privat

Janßen: Liebe Frau Behrmann-Haas, liebe Frau John, Sie engagieren sich beide seit 2015 im Landkreis für Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund. Was sind Ihre Beweggründe?

Behrmann-Haas: Nun, die Menschen sind hierhergekommen und völlig fremd. Wer, wenn nicht wir, als Nachbarn und Mitbürger, können ihnen zeigen, wie das Leben hier funktioniert? Es ist immer schwer, sich in eine Kultur mit anderen Gewohnheiten und fremder Sprache einzufinden. Es ist noch um ein vielfaches schwerer, wenn niemand da ist, der auf einen zu geht und den man auch mal fragen kann. Außerdem muss ich sagen, dass ich nie schlechte Erfahrungen mit Menschen anderer Kulturen gemacht habe, im Gegenteil, ich habe durch das Miteinander insbesondere mit Geflüchteten viel gelernt und profitiert.

John: Ich habe fünf Jahre im Ausland gelebt und 2015, als ich die Fernsehbilder von Flucht und Vertreibung so vieler Menschen gesehen habe, wollte ich etwas tun. Durch meinen eigenen Auslandsaufenthalt kann ich mich gut hineinversetzten, wie es sich anfühlt, fremd in einem anderen Land zu sein. Obwohl mein Aufenthalt damals gut geplant war, war es nicht immer einfach. Deshalb habe ich den Bedarf gesehen, Geflüchteten zu helfen, sich hier zurecht zu finden, auch längerfristig.

Janßen: Ist Ihnen schon einmal sogenannter Alltagsrassismus begegnet? Können Sie eine Situation beschreiben, die Sie schon erlebt haben?

John: Ja. Sehr häufig sehe ich diese Probleme beispielsweise bei der Wohnungssuche. Sobald da ein ausländisch klingender Name auf dem Papier steht oder jemand einen Akzent hat, bekommen viele überhaupt keine Chance. Da hört man schon mal, so jemanden könne man den anderen Mietern nicht zumuten. Nicht immer sagen potentielle Vermieter offen, „Nein, den will ich nicht, weil er Syrer ist“, sondern dann kommen eher so Aussagen wie: „Naja, aber ein so junger lediger Mann, der passt doch gar nicht zu uns.“ Wenn ich dann sage, dass auch eine alleinerziehende Mutter eine Wohnung sucht, kommt die nächste Ausrede. Oder man erhält überhaupt keine Antwort. Alles, was fremd erscheint, wird abgelehnt. Das ist schade. Ein solch ablehnendes Verhalten zeigt auch keinerlei Interesse an der einzelnen Person, ihrer Geschichte, ihren Fähigkeiten. Behrmann-Haas: Was mir immer schon sauer aufstößt ist, wenn von „denen“ geredet wird. Das ist eine sprachliche Distanzierung und Verallgemeinerung, die ausgrenzt. Allerdings muss man klarstellen, dass Vielen gar nicht bewusst ist, wenn eine Aussage rassistisch ist.
Alltagsrassismus entsteht dort, wo Vorurteile unhinterfragt weitergetragen werden und eine Gruppe von Menschen pauschal verurteilt wird auf Grund ihrer Nationalität, ihrer Religionszugehörigkeit oder ihres Aussehens. Oft ist es nicht vordergründig Rassismus, der aus Menschen spricht, sondern vielmehr eine tiefe Angst vor dem Fremden und Unbekannten.
Selbstverständlich muss man auch sagen, dass niemand frei von Vorurteilen ist. Elementar ist aber, sich dessen bewusst zu werden – die eigenen Ängste und Vorurteile kritisch zu beleuchten und sich damit auseinanderzusetzen.

Janßen: Haben Sie das Gefühl, dass zivilgesellschaftliches Engagement ein Zeichen gegen den „Rechtsruck“ in der Gesellschaft sein kann? Warum?

John: Ich muss sagen, dass ist eine sehr komplexe Thematik. 2015, als es gar keine Strukturen für die Aufnahme gab, hat die Zivilgesellschaft und besonders das Ehrenamt viel abgefangen. Ohne die Menschen, die auf die Neuankömmlinge zugegangen sind, hätte die Integration sicherlich weniger gut funktioniert. Das Ehrenamt hat hier dazu beigetragen, den sozialen Frieden zu wahren, das denke ich schon. Aber grundsätzlich geht es, glaube ich, darum, zu zeigen, wofür man steht. Zivilgesellschaftliches Engagement bedeutet für mich genauso, rassistische Bemerkungen zu kritisieren und Zivilcourage zu zeigen.

Behrmann-Haas: Ja genau. Ich bin auch der Meinung, dass man mutig seine Position klarmachen muss. Dazu gehört es für mich, die Werte meines Landes zu vertreten: unser Grundgesetz. Menschen, die anders gekleidet sind oder eine andere Hautfarbe haben, wollen keine Angst provozieren, sondern die allermeisten wollen einfach nur in Frieden leben. Wenn ihnen auf Grund des Aussehens sofort etwas Negatives unterstellt wird, leiden die Betroffenen meist sehr. Es sind diese vorgefertigten Bilder im Kopf, die es aufzubrechen gilt.

Janßen: Kann man Anti-Rassismus lernen? Was kann jeder einzelne gegen Rassismus tun?

John: Rassismus ist oft tief verankert und in jedem von uns stecken Vorurteile. Ich will mich da nicht ausnehmen. Aber es ist wichtig, sich ein Bewusstsein dafür zu schaffen und daran zu arbeiten. Zum Beispiel, indem man sich fragt, warum ist mir diese Situation gerade unbehaglich, an was liegt das und ist meine Angst begründet? Liegt es nur an der Hautfarbe oder dem Kopftuch des Gegenübers, oder an etwas Anderem? Je selbstverständlicher der Umgang miteinander wird – als Arbeitskolleg*innen, als Nachbarn, im Sportverein etc. – desto weniger Chancen hat der Rassismus.

Behrmann-Haas: Denkmuster immer wieder zu hinterfragen, halte ich auch für sehr effektiv. Es ist grundsätzlich so: „Anti-Rassismus“, wie Sie sagen, kann man lernen, aber man muss es auch wollen. Man muss offen sein und auf andere zugehen. Wenn jemand flapsig sagt „Die sollen sich halt integrieren“, muss man immer sagen: Integration ist ein wechselseitiger Prozess. Geben wir anderen in gleichem Maß die Chance, teilzuhaben? Wichtig ist es auch, der latenten „Grundangst“ den Nährboden zu entziehen, indem man immer wieder das Gespräch sucht und von guten Erfahrungen erzählt, die man mit Fremden gemacht hat. Ich engagiere mich seit fünf Jahren und ich habe eine Menge guter Erlebnisse gehabt, die auch Basis meines Engagements sind. Ich kann nur ermutigen, die „anderen“ kennenzulernen und in den Dialog zu kommen – dann sieht man die Dinge meist aus einer ganz anderen Perspektive.

Janßen: Danke für das Gespräch!

Das Gespräch führte Britta Janßen, Integrationslotsin des Landkreises Nürnberger Land. Sie ist Ansprechpartnerin für alle Ehrenamtlichen im Landkreis, die sich im Bereich Integration engagieren.

Von: Pressestelle des Landratsamts, Montag, 06. Juli 2020 - Aktualisiert am Montag, 13. Juli 2020
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