Im harten Schwenk zum echten Reifezeugnis
Wendelstein - Abiturfeier an der Freien Waldorfschule Wendelstein – Große Anerkennung vom WEG-Direktor Dr. Richard Kifmann
Natürlich gibt es zum Abschied Geschenke. Selbst für die Lehrer. Aber die werden ihnen nicht einfach in die Hand gedrückt. „Sie müssen schon ein kleines Rätsel lösen“, sagt die Abiturientin Nicola Bauer und lächelt geheimnisvoll in Richtung Kollegium. Die Aufgabe könnte pädagogischer kaum sein: Erkenne dich selbst! Kleine Hilfestellungen gibt Nicolas Mitschüler Henrik Mrochen. Mit großer Geste und sanfter Ironie schlüpft er in kurzen Szenen in die Rolle der Lehrer, die die 13. Klasse der Waldorfschule Wendelstein – „G8“ wurde bewusst nie eingeführt - in diesem Jahr zum Abitur geführt haben. Persiflieren ohne bloßzustellen. Auf diesem schmalen Grat brilliert er mit komödiantischer Leichtigkeit. Ein umjubelter Auftritt, der Eltern wie Lehrer gleichermaßen amüsiert. Diese satirische Sympathieerklärung ist die köstliche Krönung einer so entspannten wie stilvollen Abiturfeier, die das Schulorchester im vollbesetzten Festsaal mit Jaques Offenbachs Can-Can voller Schwung eröffnet.
Zum 17. Mal wurden am Sonntag an der Waldorfschule Wendelstein Abiturzeugnisse vergeben. Heuer an eine Klasse, die besondere Herausforderungen zu bestehen hatte. „Manche Klassen bleiben in all den Jahren fast unverändert“, sagt Gerhard Gauer von der Schulleitung. Doch hier hat es ungewöhnlich viele Wechsel gegeben. „Dennoch habt Ihr zu einer Klassengemeinschaft gefunden, die die Neuen sehr gut integriert hat. Dafür meine Hochachtung.“
Das Abitur an einer Waldorfschule ist aber auch deshalb etwas Besonderes, weil es formal gar nicht von ihr selbst, sondern von einer wechselnden staatlichen Partnerschule abgenommen und vergeben wird - eine Vorgabe des Staates, um die Leistungsstandards zu garantieren. In diesem Jahr war es das Wolfram-von-Eschenbach-Gymnasium. Oberstufenbetreuer Christian von Rimscha bedankt sich bei seinen Schwabacher Kollegen ausdrücklich für die harmonische Zusammenarbeit. Das ist mehr als eine höfliche Floskel. Schließlich treffen hier zwei Schulkulturen aufeinander.
„Alles außer gewöhnlich“, findet WEG-Direktor Dr. Richard Kifmann das Waldorf-Konzept und skizziert einige markante Unterschiede. Notenzeugnisse gibt es erst ab der neunten Klasse, Sitzenbleiben gar nicht. Leistungsanforderungen seien lange „fast ein Tabuthema“. Vor dem Abitur aber müssen die Schüler den „plötzlichen Schwenk“ verkraften. „Das muss hart sein“, sagt Richard Kifmann voller Respekt. Zumal Waldorfschüler nicht nur fünf, sondern acht Abiturprüfungen bestehen müssen. Ein schwieriger Weg, den 21 der 25 Schüler erfolgreich bewältigt haben. Für sie sei das Abiturzeugnis weit mehr als eine Hochschulzugangsberechtigung. „Ihnen überreiche ich ein Reifezeugnis.“ Dazu gratulieren auch die stellvertretende Landrätin Edeltraud Stadler und Wendelsteins zweiter Bürgermeister Werner Vogel, der am Tag des „Rother Challenge“ eine Parallele zieht: „Das Abitur ist ein guter Start in den Triathlon des Lebens.“
Das Training an der Waldorfschule aber kam weitgehend ohne Stoppuhr aus. „Die Unter- und Mittelstufe war ein Segen, weil wir Kinder sein durften“, blickt Simon Oerthel in seiner herrlich launigen Rede zurück. Für die vier Mitschüler, die das Abi wiederholen müssen, hat er sogar – in einer Art ernst gemeinter Selbstironie – bei Waldorf-Übervater Rudolf Steiner nachgeblättert. „Er sagt sinngemäß: Manches im Leben muss man zweimal machen, damit es wirklich gut wird.“ Diesen Satz lässt er eine kurze Pause lang wirken, dann muss er lachen: „Glaubt mir, ich weiß, wovon ich rede.“ Nach vorne sieht er mit gelassener Zuversicht. „Jeder von uns wird seinen Weg gehen.“ Und vielleicht, fügt er schmunzelnd hinzu, werde der eine oder andere dabei sogar doch noch den Wert der Stochastik für sich erkennen.
Der Wert des Erwachsenwerdens an gerade dieser Schule steht für die Elternsprecher Christian Oerthel und Uli Bauer außer Frage. „Nicht die Noten stehen im Mittelpunkt. Ihr seid mehr als Euer Abischnitt“, betont Bauer. Das Abi sei ein Grundstock. Nun stünden neue Entscheidungen an. „Was macht Ihr nach den Jahren an der Freien Waldorfschule mit Eurer Freiheit? Was ist sinnvoll? Dem schnöden Mammon hinterherzujagen? Oder sich eine Aufgabe zu suchen, die einen erfüllt und ein gutes Auskommen gibt?“ Sein Wunsch: „Traut Euch, vertraut Euch, seid mutig.“
Mutig wie Mia Serafin. Sie wagt sich zum musikalischen Finale an den so berührenden wie anspruchsvollen Song „Photograph“ von Ed Sheeran und lässt, an der Gitarre begleitet von Ole Mönch, mit ihrer wunderbaren Stimme die Schulzeit einfühlsam ausklingen.
FWW