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Ich habe einfach das Gefühl, ich muss sie besuchen!

Rummelsberg, Nürnberger Land - Die Schwiegermutter ist dement und lebt in der beschützenden Abteilung im Heim. Wie kommen Angehörige mit dieser schwierigen Situation zurecht? Ein Interview mit einer Betroffenen:

  • Ich bin bei Dir

    Ich bin bei Dir
    © Privat

Frau V.: Ich habe das Gefühl, ich muss dahin, obwohl sie mich wahrscheinlich nicht erkennt. Wenigstens alle 14 Tage besuche ich sie. Wissen Sie, ich hatte eine wunderschöne Kindheit mit lieben Eltern, die alles für mich getan haben. Sie sind beide leider viel zu früh verstorben. Ich kenne also ein Zuhause, in dem ich mich wohl fühlte. Deswegen habe ich zu meinem Mann gesagt: „Wenn Deine Mutter nicht mehr allein sein kann, soll sie bei uns wohnen“. Wir hatten genügend Platz im Haus und richteten alles altersgerecht her. Nach einem Krankenhausaufenthalt kam sie dann zu uns. Der Schritt war jedoch zu groß für sie. Es funktionierte nicht. Daraufhin besorgten wir ihr ein Appartement in einem Pflegeheim. Dort wohnte sie 3 Jahre, bis sich ihre Demenz bemerkbar machte, die sich u.a. in Aggression äußerte. Ich konnte das anfangs nicht richtig einschätzen, fühlte mich zu Unrecht angegriffen und war gekränkt. Mit der Zeit verstand ich es besser. Da sie nicht mehr allein in ihrer Wohnung für sich sorgen konnte, mussten wir eine neue Bleibe für Sie suchen. In den nächsten beiden Jahren fand sie Unterschlupf in zwei weiteren Pflegeheimen mit geschlossener Abteilung, wo sie aber immer wieder ausbüxte und sich z.B. im Garten wildfremder Menschen niederließ. Und sie veränderte sich. Einmal fuhr sie mich unwirsch an, als ich sie beim Abschied am Arm berührte. Das tat schon weh.

Letztendlich hatten wir Glück, dass wir im Stephanushaus in Rummelsberg einen Platz für sie fanden. Und dort besuche ich sie jetzt. Ich muss das machen. Und ich bin froh, dass ich das tue. Ich kann sie nicht allein lassen. Man kann doch einen alten Menschen nicht einfach so wegwerfen. Das geht nicht. Wenn ich sie besuche, habe ich vorher oft Herzklopfen. Ich weiß ja nie, was sein wird. Obwohl es immer das Gleiche ist.

Aber einfach ist es nicht. Sie spricht nicht mit mir. Sie schaut nur vor sich hin. Es belastet mich ein bisschen, so dass ich es meist nicht länger als eine Viertelstunde bei ihr aushalte. Ich denke mir manchmal: „Warum darf die Frau nicht gehen? Der liebe Gott holt so viele junge Leute, die noch ein schönes Leben vor sich hätten. Und die alte Oma muss bleiben“. Aber man weiß halt nicht, was sie wirklich in sich erlebt. Es ist nicht einfach.

Aber das ist ja noch nicht alles. Ich muss ja noch alle 14 Tage eine weitere demente langjährige Freundin besuchen. Wir waren ein halbes Jahrhundert miteinander verbunden. Durch ein Missverständnis herrschte in unserer Beziehung leider über zehn Jahre Funkstille. Als ich erfuhr, dass sie dement in einem Heim lebt, besuchte ich sie das erste Mal. Ich bin die Einzige außer ihrem Sohn, der sie noch besucht. Sonst kommt niemand aus dem großen Bekanntenkreis. Obwohl sie mich anscheinend nicht mehr erkennt, freut sie sich jedes Mal und sagt: „Das ist aber schön, dass du wieder kommst“. Sie setzt sich dann auf ihr Gehwägelchen, manchmal nimmt sie meine Hand und ich schiebe sie einhändig durch die Gänge und füttere sie mit Schoko-Bonbons. Wenn ich ihr leises Murmeln nicht verstehe, weist sie mich mit lauter Stimme darauf hin, dass ich besser zuhören solle. Manchmal kommen von ihr ganz unvermutet die gleichen Sprüche wie früher. Und sie singt mit ihrer schönen Stimme die alten Lieder von früher, obwohl die anderen Sachen zum Großteil vergessen sind. Sie mag es auch gerne, wenn ich ihr Märchen vorlese. Und wenn ich mich nach einer Stunde verabschieden will, fragt sie aufgebracht: „ Warum bist du denn dann überhaupt gekommen?“ Aber wenigstens spricht sie mit mir. Die Zeit, die ich bei ihr verbringe, vergeht viel schneller als bei meiner Schwiegermutter.

Bei meiner Schwiegermutter würde ich mir wünschen, dass sie offener wäre. Aber das wäre zu viel verlangt. Sie hatte diesen Charakterzug nie. Sie selbst hatte es im Leben nicht leicht, war pflichtbewusst und kümmerte sich lange Jahre um ihre Mutter.

Ich bin ein durch und durch positiver Mensch. Ich besuche meine Freundin, weil es mir gut tut und ihr hoffentlich auch. Ich würde mir wünschen, dass sie wieder gesund wäre. Dann könnten wir alles nachholen, was wir versäumt haben in unserer Freundschaft. Weil das aber nicht geht, mache ich eben das, was möglich ist. Wenn ich dann wieder daheim bin und meinem Mann von meinem Besuch im Heim erzähle und dem Sohn meiner Freundin eine Berichts-Whatsapp geschickt habe, geht es mir gleich wieder besser. Es tut mir gut, darüber sprechen zu können. Und beten hilft mir auch.

Zum Glück habe ich eine gute langjährige Freundin, mit der ich mich vertrauensvoll austauschen kann. Sie versteht mich und ich verstehe sie. Das ist sehr wichtig für mich. Deswegen brauche ich im Moment auch keine Unterstützung oder Hilfe von dritter Seite. Es ist schön, dass der Hospizverein Hilfe anbietet. Aber im Moment bringe ich die ganzen Anforderungen gut selbst auf die Reihe. Wenn ich Unterstützung brauche, komme ich gern darauf zurück.

Frau V., vielen Dank für das offene Gespräch!

                                                              

Von: Erhard Spiegel (Öffentlichkeitsarbeit Rummelsberger Hospizarbeit), Montag, 12. März 2018 - Aktualisiert am Donnerstag, 15. März 2018
Weitere Informationen, Artikel und Termine von »Verein Rummelsberger Hospizarbeit mit Begleitung Trauernder« finden Sie unter: www.meier-magazin.de/hospizverein-rummelsberg
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